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Alt 21.08.2017, 10:30   #7727
Klugschnacker
Arne Dyck
triathlon-szene
Coach
 
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Registriert seit: 16.09.2006
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Beiträge: 22.943
Zitat:
Zitat von Trimichi Beitrag anzeigen
Ich spreche vom Konstrukt der Leichtgläubigkeit.
Ich habe dafür keinen Beleg im Sinne einer empirischen Studie. Vielleicht gibt es dafür Belege, doch ich kenne sie nicht. Sie haben mich bisher nicht interessiert, da mir das Argument (mehr dazu unten) auch ohne empirischen Nachweis plausibel erschien.

Kinder lernen von ihren Eltern durch ihre Vorbildwirkung, aber auch durch sprachliche Vermittlung. Dasselbe gilt für andere Autoritäten, also andere Erwachsene, Lehrer, Würdenträger, Älteste usw.

Eine Tigermama muss ihren Kleinen zeigen, wie man jagt, welche Tiere gefährlich sind und welche nicht. Eine Menschenmama kann dieses Wissen ab einem gewissen Alter auch sprachlich vermitteln. Etwa, dass man die roten Beeren nicht essen darf, obwohl sie so hübsch aussehen. Dieses Wissen braucht gar nicht von der Mutter selbst stammen, denn ihr wurde das ebenfalls von Autoritätspersonen beigebracht; niemals hat sie am eigenen Leibe erlebt, dass diese roten Beeren giftig sind.

Es liegt für mich auf der Hand, dass diese Form der Weitergabe von Wissen ein Wettbewerbsvorteil des Homo sapiens gegenüber anderen Tieren ist. – Diesen Vorteil finden wir auch in der Neuzeit: Die westliche Kultur konnte die amerikanischen Ureinwohner mit Leichtigkeit ausrotten, weil die westlichen Eroberer gut über die Indianer bescheid wussten. Die erste westliche Expedition wusste noch nichts, aber bereits die zweite profitierte von den Erfahrungen der ersten. Sie wusste bereits, dass der Häuptling gleichzeitig als Gott verehrt wurde; wenn man ihn gefangen nähme, würden die Indianer nichts tun, was sein Leben in Gefahr bringt. Dies wussten die Spanier und Portugiesen, die in Europa für die nächste Expedition rüsteten, obwohl ein ganzer Ozean zwischen ihnen und den Indianern lag. Die Indianer hingegen wussten nichts von den Massakern, die nur wenige hundert Kilometer entfernt im Kampf mit den Eroberern stattgefunden hatten. Letztere konnten Wissen und Erfahrungen weitergeben, was die Indianer nicht so gut konnten. Die Indianer starben fast komplett aus, in Nordamerika herrscht seither die westliche Kultur.

Bedarf es einer näheren Begründung, dass jene Kinder stärker in Gefahr waren, die weniger auf ihre Eltern hörten, als der Durchschnitt? Vielleicht ja, aber für mich ist das zunächst einmal plausibel, bis mir jemand ein gutes Gegenargument in den Weg stellt (gerne!). Das Vorhandensein von Sprache erzeugt einen evolutionären Druck beim Zuhörer. Kinder profitieren davon, wenn sie den Autoritäten ungeprüft vertrauen. Das gilt ganz besonders für religiöse Autoritäten, die nicht ohne Grund in besonderer Kleidung und beeindruckenden Gotteshäusern auftreten; oder einen Feuertanz im Löwengewand aufführen. Wie sollte das keinen Eindruck machen auf Kinderseelen?

Ob man das nun Leichtgläubigkeit, Naivität oder Vertrauen nennt, ist für mich im Rahmen dieser Diskussion einerlei.

Dieses kindliche Vertrauen ist jedoch nicht die ganze, vollständige Erklärung dafür, warum Menschen teilweise religiösen Vorstellungen Glauben schenken. Es ist aber eine plausible Erklärung dafür, warum die Wurzeln des Glaubens fast immer in der Kindheit liegen, und warum Menschen fast immer den Glauben ihrer Eltern annehmen, während sie in vielen anderen Fragen von den Ansichten der Eltern abweichen. Die Verankerung des Glaubens im emotionalen Bereich des kindlichen Denkens erklärt außerdem, warum dieser Verankerung später mit Vernunft und Logik nicht beizukommen ist. Vielleicht findest Du das auch bei Dir selbst: Dass Deine Eltern katholisch sind, dass Du von früher Kindheit an katholisch erzogen wurdest, und dass kein rationales Argument der Welt Dich von Deinem Glauben abbringen könnte (no offense intended).

Dieses Vertrauen auf die Autoritäten während der Kindheit nutzt eine zweite Eigenschaft/Fähigkeit des Homo sapiens. Beide gehen Hand in Hand: Die Fähigkeit des Menschen zu fiktivem Denken.

Die vormenschlichen Horden konnten eine Gruppen- oder Stammesgröße von 50 bis 100 Individuen nicht überschreiten. Denn der Zusammenhalt basierte auf Verwandtschaften und persönlichen Kontakten. Wurde die Gruppe größer, so wurden damit auch diese persönlichen Verbindungen indirekter und schwächer, sodass sie in zwei Gruppen zerfiel.

Eine biologische Weiterentwicklung ermöglichte den Menschen das fiktive Denken, welches eine kulturelle Revolution auslöste. Man konnte sich auf fiktive Vorstellungen einigen, etwa, dass eine Person "König" sei, und tausende seine Untertanen; gemeinsam sei man ein "Volk" oder eine "Nation". Rein fiktive Konstrukte wie "Geld" ermöglichten sehr viel später eine Arbeitsteilung in diesen Gesellschaften, in denen es nun Spezialisten für die Herstellung von Waffen, Arbeitsgräten, Nahrungsmitteln oder zur Anrufung der Götter gab. Heute können Millionen von Menschen gemeinsam an einer Atombombe arbeiten, oder in internationalen Firmen Handel treiben.

Die Fähigkeit zum fiktiven Denken war ein Kitt (nicht der einzige) der große Gesellschaften zusammenhielt und eine gemeinsame Kooperation ermöglichte. Auch die stärksten Konkurrenten des Homo sapiens hatten und haben dagegen keine Chance.

Das fiktive Denken ermöglicht nicht nur die Vorstellung einer Zusammengehörigkeit in Form eines Volkes, einer Nation oder aufgrund gleicher Vorstellungen zu den "Menschenrechten". Es ermöglicht auch die Vorstellung eines eierlegenden Hasen, fliegender Menschen, Göttern oder Götterfamilien im Himmel, Wiederauferstehung von den Toten (was in der Antike erzählerische Mode war; allein in der Bibel sind mehrere Personen auferstanden, nicht nur Jesus).

Was oft missverstanden wird: Nicht die Erfindung der Religionen stellte einen evolutionären Vorteil dar. Sondern, eine Schicht tiefer, die biologische Fähigkeit zum fiktiven Denken. Sie steigerte dramatisch die Fähigkeit der Menschen zur Kooperation. Manchmal scheint es, dass die Religion es sei, welche die Menschen verbindet. Etwa, wenn alle Christen gegen alle Andersgläubigen zu Felde ziehen, oder alle Muslime an einem Strang zu ziehen scheinen. Die Religion, ebenso wie der Nationalismus oder der Glaube an eine bestimmte Formulierung der Menschenrechte etc. ist nicht Ursache, sondern Wirkung. Die Ursache ist die Fähigkeit zum fiktiven Denken, und die Folge davon sind abstrakte Konstruktionen wie Götter, Himmel und Hölle, Nation, Staatsbürgerschaft, Geld, Ehe und so weiter.

Ist da vielleicht etwas dran?
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