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Vollständige Version anzeigen : 30 Jahre Mauerfall - Wo wart ihr am 9.11.1989?


Vicky
14.11.2019, 19:04
Der 9. Novemer 1989 hat ganz sicher mein Leben verändert. Ich war zwar erst 13 Jahre alt, lebte mit Eltern und 2 Schwestern in Ost-Berlin. Ich habe sehr wohl verstanden, dass da etwas sehr großes und wichtiges passiert. Ich war auf mehreren Großdemos in Berlin am Alex dabei, träumte davon, mal nach Los Angeles zu reisen (was absurd war! Inzwischen war ich da!)

Am 9. November habe ich alles am TV miterlebt. Meine Eltern hatten große Angst und trauten sich nicht, an die Grenze zu fahren. Schließlich waren wir ja 3 Kinder. Meine Schwestern waren erst 7 Jahre alt. Sie brachten uns erst einmal zu unseren Großeltern. Wir sind erst 2 Wochen später das erste Mal über den Ku‘damm gelaufen. Ich war im City Music Laden und habe mir ne Vinyl Schallplatte gekauft (Bros... ja die Teenager Band. Ich war halt 13)...

Meine Mutter arbeitete damals im Ministerium des Innern in der Mauerstraße (Verkehrsmeldungen). Sie hat so einiges sehr hautnah mitbekommen... Leider erzählt sie nicht so viel darüber. Wir hatten im Bekanntenkreis durchaus „hohe Tiere“ in der SED und so. Wir haben damals fast 15 Jahre in einem Mietshaus gewohnt. So entstanden diese Freundschaften.

Mich würde sehr interessieren, ob Ihr Euch an den Tag der Tage erinnert. Was habt ihr gemacht und wie habt ihr das Ganze erlebt?

LG!

Estebban
14.11.2019, 19:10
Der 9. Novemer 1989 hat ganz sicher mein Leben verändert. Ich war zwar erst 13 Jahre alt, aber ich habe sehr wohl verstanden, dass da etwas sehr großes und wichtiges passiert. Ich war auf mehreren Großdemos in Berlin am Alex dabei, träumte davon, mal nach Los Angeles zu reisen (was absurd war! Inzwischen war ich da!) Am 9. November habe ich alles am TV miterlebt. Meine Eltern hatten große Angst und trauten sich nicht, an die Grenze zu fahren. Sie brachten uns erst einmal zu unseren Großeltern. Wir sind erst 2 Wochen später das erste Mal über den Ku‘damm gelaufen. Ich war im City Music Laden und habe mir ne Vinyl Schallplatte gekauft (Bros... ja die Teenager Band. Ich war halt 13 ����)...

Meine Mutter arbeitete damals im Ministerium des Innern in der Mauerstraße (Verkehrsmeldungen). Sie hat so einiges sehr hautnah mitbekommen... Leider erzählt sie nicht so viel darüber. Wir hatten im Bekanntenkreis durchaus „hohe Tiere“ in der SED und so. Wir haben damals fast 15 Jahre in einem Mietshaus gewohnt. So entstanden diese Freundschaften.

Mich würde sehr interessieren, ob Ihr Euch an den Tag der Tage erinnert. Was habt ihr gemacht und wie habt ihr das Ganze erlebt?

LG!


Klingt nach einem spannenden Thread - ich kann leider nicht viel beitragen, ich würde 5 Tage vorher geboren und war mit meiner Mama im Krankenhaus und war hauptsächlich mit Nahrungsaufnahme und schlafen beschäftigt :liebe053:

Trimichi
14.11.2019, 19:17
Vorgeschichte: ich war für JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA in Berlin beim Bundesfinale der Schulen. Olympiastadion, im Blubb, Gedächtniskirche und natürlich auch auf der Flaniermeile. Berliner Weiße mit Schuß wahlweise mit Waldmeister oder auch Himbeere. War das Jahr, indem Steffen Fetzner und Jörg Rosskopf Tischenniswaldmeister, ähmm TT-Weltmeister wurden. War damals der Running-Gag. Unser Team lebte in Wedding wir als Bayerische Landesmeister waren mit den Bremern auf einer Etage. War voll lustig mit denen. Dann natürlich auch bei den Wühlmäusen oder ne, Stachelschweinen freilich. Das Bundesfinale der Schulen war in der Eishockeyhalle für alle Tischtenniscracks. Übers Eis wurden spezielle Matten gelegt, daher war auch der Boden ok, zwar leicht kalt, aber ok. Opening ceremony ging mit dem Song "Magic Balls" los. Einfach klasse. Closing ceremony war auch im Eisstadion für uns, ist eine Tanzgruppe aus Kenia aufgetreten. Mega. Leider habe ich im Spiel um Platz 5 das entscheidende Einzel im dritten Satz "verkackt". War gegen die aus Baden Württemberg. 19:21. Der Typ hatte mich provoziert und ich schob dann bei 19:19 "das Eisen", d.h. mein Arm war echt schwer. Verzog dann erst einen weichen Rückhand-Topspin und hab dann kurz und trocken mit der Vorhand daneben geballert bei eigenem Aufschlag, schimpfte laut und rief: "So ein Kasper!!!" Später kam der Trainier der BWler auf mich zu und meinte: "Auch wenn er ein Bauer ist, ist er noch lange kein Kasper." Na-ja, fiel mir schwer dem die Hand zu schütteln, weil wir ja im Spiel um Platz fünf 6ter wurden. Prägte sich aber ein. Wurde dann auch so ein Spruch, mit dem mich meine Mannschaftskammeraden aufzogen und abschmetterten. War mir schon peinlich. Aber wir hatten immer was zu lachen. Und unser Team lachte viel, war dann auch nicht so wichtig. Ging ja weiter im Programm mit dem Kellogg's Gutscheinheft in der Tasche. Später sind wir noch zur Grenze gefahren, Checkpoint Charly und in dem Museum dort, war arg, dann eben gerade noch die Mauer gesehen.

Eine oder zwei Wochen später war sie durchbrochen. Krass für mich damals als Bübchen, konnte echt nicht realisieren, was ich als 15jähriger noch erleben durfte. "Tretminen, Stacheldraht, auf jedem Wachturm ein Soldat." Und davor diese Mauer, die mit zig Graffties überzogen war. Hin sind wir geflogen, zurück ging es mit dem Bus. Und dann diese Bilder im Fernseher paar Tage später. Irgendwie unreal. Nicht nachvollziehbar. Aber Fakt. Kein Plan.

qbz
14.11.2019, 19:28
Der 9. Novemer 1989 hat ganz sicher mein Leben verändert. Ich war zwar erst 13 Jahre alt, aber ich habe sehr wohl verstanden, dass da etwas sehr großes und wichtiges passiert. Ich war auf mehreren Großdemos in Berlin am Alex dabei, träumte davon, mal nach Los Angeles zu reisen (was absurd war! Inzwischen war ich da!)

Am 9. November habe ich alles am TV miterlebt. Meine Eltern hatten große Angst und trauten sich nicht, an die Grenze zu fahren. Schließlich waren wir ja 3 Kinder. Meine Schwestern waren erst 7 Jahre alt. Sie brachten uns erst einmal zu unseren Großeltern. Wir sind erst 2 Wochen später das erste Mal über den Ku‘damm gelaufen. Ich war im City Music Laden und habe mir ne Vinyl Schallplatte gekauft (Bros... ja die Teenager Band. Ich war halt 13 ����)...

Meine Mutter arbeitete damals im Ministerium des Innern in der Mauerstraße (Verkehrsmeldungen). Sie hat so einiges sehr hautnah mitbekommen... Leider erzählt sie nicht so viel darüber. Wir hatten im Bekanntenkreis durchaus „hohe Tiere“ in der SED und so. Wir haben damals fast 15 Jahre in einem Mietshaus gewohnt. So entstanden diese Freundschaften.

Mich würde sehr interessieren, ob Ihr Euch an den Tag der Tage erinnert. Was habt ihr gemacht und wie habt ihr das Ganze erlebt?

LG!

Ich verfolgte in Westberlin abends die Pressekonferenz von Schabowski live im DDR-TV der Aktuellen Kamera und als er auf Nachfrage eines Journalisten versehentlich meinte, die neuen Reisebestimmungen der DDR würden sofort, unverzüglich in Kraft treten, war mir sofort klar, was das unmittelbar für Folgen hat und bedeutet.
PK Schabowsky, ab 61. Minute (https://www.youtube.com/watch?v=bsJyUS0HP2U)

Ich fuhr aber danach, d.h. abends / nachts nicht gleich zur Grenze. Am nächsten Tag sah ich aus dem Fenster meiner Arbeitsstelle die Trabi´s den Mehringdamm hochfahren und nachmittags und abends besuchte uns eine befreundete Familie aus Ostberlin, die wir schon lange kannten. (wobei der Mann Schweizer ist und in Ostberlin an der Humboldt Uni arbeitete, dessen Frau als DDR-Bürgerin vorher aber nie nach Westberlin ausreisen durfte. stattdessen Ferien in Bulgarien und einmal Schweiz). Ein gemeinsames "Konsumfest" auf dem Kuhdamm entsprach nicht so unserer Wellenlänge, lieber Anstossen im Kiez.

Vicky
14.11.2019, 19:39
Ich verfolgte in Westberlin abends die Pressekonferenz von Schabowsky live in der aktuellen Kamera und als er auf Nachfrage eines Journalisten versehentlich meinte, die neuen Reisebestimmungen würden sofort, unverzüglich in Kraft treten, war mir sofort klar, was das unmittelbar für Folgen hat und bedeutet.
PK Schabowsky, ab 61. Minute (https://www.youtube.com/watch?v=bsJyUS0HP2U)

Ich fuhr aber nicht gleich zur Grenze. Am nächsten Tag sah ich aus dem Fenster meiner Arbeit die Trabi´s den Mehringdamm hochfahren und nachmittags und abends besuchte uns eine befreundete Familie aus Ostberlin, die wir schon lange kannten. (wobei der Mann Schweizer ist und in Ostberlin an der Humboldt Uni arbeitete, dessen Frau als DDR-Bürgerin vorher aber nie nach Westberlin kam.)

Danke für Deinen Bericht!

Unsere Freunde waren befreundet mit dem Herrn Lauter (wir nicht persönlich!). Er war Mitverfasser des neuen Reisegesetzes. Unsere Eltern haben mit Freunden nur draußen bei einem Spaziergang über solche Themen gesprochen. Es gab unter anderem Gerüchte über ein gewaltsames Einschreiten bei den Demos. Unser leider schon verstorbener Freund wusste, dass Honnecker zurück treten wird am Abend davor. Er bat meine Mum damals um einen Spaziergang und sagte es ihr.

Ich bekomme leider immer nur Bruchstücke von meinen Eltern. Sie erinnern sich zwar, aber ich kann das was sie berichten nicht belegen.

Außer, dass meine Mum im Ministerium gearbeitet hat. Ich habe sie dort oft besucht oder abgeholt.

Vicky
14.11.2019, 19:50
Klingt nach einem spannenden Thread - ich kann leider nicht viel beitragen, ich würde 5 Tage vorher geboren und war mit meiner Mama im Krankenhaus und war hauptsächlich mit Nahrungsaufnahme und schlafen beschäftigt :liebe053:

:Cheese: :Cheese: :Cheese:

LG!

qbz
14.11.2019, 20:07
Danke für Deinen Bericht!

Unsere Freunde waren befreundet mit dem Herrn Lauter (wir nicht persönlich!). Er war Mitverfasser des neuen Reisegesetzes. Unsere Eltern haben mit Freunden nur draußen bei einem Spaziergang über solche Themen gesprochen. Es gab unter anderem Gerüchte über ein gewaltsames Einschreiten bei den Demos. Unser leider schon verstorbener Freund wusste, dass Honnecker zurück treten wird am Abend davor. Er bat meine Mum damals um einen Spaziergang und sagte es ihr.

Ich bekomme leider immer nur Bruchstücke von meinen Eltern. Sie erinnern sich zwar, aber ich kann das was sie berichten nicht belegen.

Außer, dass meine Mum im Ministerium gearbeitet hat. Ich habe sie dort oft besucht oder abgeholt.

Stimmt, Gerhard Lauter arbeitete wohl die neuen Reisebestimmungen aus und die Veröffentlichung auf der PK fand tatsächlich zu früh statt, quasi eine Panne. Irgendwie passte das zur Stimmung, weil wahrscheinlich niemand von den obersten Parteifunktionären oder Krenz wusste, wie es weitergeht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Lauter

Helmut S
14.11.2019, 20:08
Uni, Training, Freundin :Cheese: Recht sicher genau in der Reihenfolge. Erinnere mich aber nicht explizit. Sehr wohl an die Tatsache der Meldung. :Blumen:

Jan-Z
14.11.2019, 20:20
Bundeswehr, Wehrdienst ...
Irgendwann kam ein Stubenkanerad zur Türe rein und meinte 'die Mauer ist offen'.
Wir konnten's nicht glauben und erst Mal Fernseher an.
Wir waren kurz vorher schon in ein anderes Gebäude gezogen um Platz für 'die Flüchtlinge' zu machen (aus Ungarn und so ...) kam dann aber doch keiner ...
War spannend, v.a. für mich als gebürtigem West-Berliner ...
Gruss Jan

Vicky
14.11.2019, 20:42
Stimmt, Gerhard Lauter arbeitete wohl die neuen Reisebestimmungen aus und die Veröffentlichung auf der PK fand tatsächlich zu früh statt, quasi eine Panne. Irgendwie passte das zur Stimmung, weil wahrscheinlich niemand von den obersten Parteifunktionären oder Krenz wusste, wie es weitergeht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Lauter

Oh danke für den Link! Ich konnte mich an den Vornamen nicht erinnern. Meine Mum sagte kürzlich, dass er aktuell sehr schwer krank sei (wohl Alkohol. Aber das kann ich halt nicht belegen.)

Ich wusste gar nicht, dass es einen Wiki Eintrag gibt. Er ging damals ein und aus in der Mauerstraße.

Einige Freundschaften aus diesem Mietshaus bestehen noch heute. Ein Bekannter aus diesem Haus war ein hohes Tier bei der Stasi. Er erschoss sich selbst nach dem Mauerfall. Den Namen möchte ich hier nicht schreiben. Ich kannte ihn persönlich.

Meine Eltern haben Einsicht in ihre Stasi Akten genommen. Keiner der Leute aus diesem Haus hat den anderen bespitzelt.

Mein Vater wurde jedoch 1982 nach einem Schädelbasisbruch rekrutiert. Meine Mum war hoch schwanger mit meinen Schwestern. Mein Vater wurde im Krankenhaus vor die Wahl gestellt zu sterben oder IM zu werden. Er wurde auf eine Arbeitskollegin angesetzt... naja... mein Vater war nicht sehr gut darin. Er hat nicht viele Informationen liefern können. In seiner Akte stand sogar, dass er ungeeignet sei. Er spricht nicht darüber, hat kaum Erinnerungen. Nach dem Schädelbasisbruch hat es sehr lange gedauert, bis er uns Kinder wieder erkannte...

Bleierpel
14.11.2019, 21:24
Ich habe den entscheidenden Abend die ganze Zeit vor der Glotze gehangen und die Livebilder angesehen... Irgendwann gg 2 Uhr in's Bett, am nächsten Morgen Klausur... Und 2 Tage später die erste Trabbikolonne auf der leverkusener Rheinbrücke überholt: geschifft wie sau, aber Fenster runter und denen alle zugewunken und mit der anderen Hand gehupt wie'n wilder :-)


Coole Zeit!!

ThomasG
14.11.2019, 21:31
Bundeswehr, Wehrdienst ...
Irgendwann kam ein Stubenkanerad zur Türe rein und meinte 'die Mauer ist offen'.
Wir konnten's nicht glauben und erst Mal Fernseher an.
Wir waren kurz vorher schon in ein anderes Gebäude gezogen um Platz für 'die Flüchtlinge' zu machen (aus Ungarn und so ...) kam dann aber doch keiner ...
War spannend, v.a. für mich als gebürtigem West-Berliner ...
Gruss Jan
Das war bei mir sehr ähnlich :-).
Ich war in Speyer in der Kurpfalzkaserne und hatte gerade Wache.
Als wir vom Streifengang zurück kamen in das Wachhhäusschen, würden wir mit den Worten begrüßt:
"Die sin verrickt - die ham die Mauer uffgemacht! Die kummen jetzt all riwwer!"
(Die sind verrückt - die haben die Mauer geöffnet! Die kommen jetzt alle rüber.)
Ich hatte ein bisschen mehr Bezug zum Mauerfall, weil jemand, mit dem ich mich gut verstand und den ich ein bisschen bewunderte, nur kurz zuvor über die grüne Grenze aus der DDR flüchten wollte.
Sie haben ihn erwisrcht vorher und eingebuchtet.
Irgendwann kam er frei und wusste gar nicht so genau warum.
Er glaubte, die BRD hätte für seine Freilassung sozusagen was gezahlt.
Tja - er war nicht so arg lang bei uns, da wurde er eingezogen.
Wir haben uns angefreundet und hatten noch ein paar Jahre öfter Kontakt.
Leider ist der abgerissen.
Er hat ein nettes Mädel kennengelernt, was zu ihm passte und ist nach Hamburg gezogen.
Sie konnte dort als Lehrerin arbeiten.
Das ist das letzte, was ich von ihm weiß.
Leider dürfte er kaum oder gar nicht im Internet unterwegs sein.
Ich habe schön öfter im Netz gesucht, ob ich eine Möglichkeit finde mal wieder mit ihm zumindest ein paar Worte zu wechseln.

ironmansub10h
14.11.2019, 21:41
Bundeswehr, Wehrdienst ...
Irgendwann kam ein Stubenkanerad zur Türe rein und meinte 'die Mauer ist offen'.
Wir konnten's nicht glauben und erst Mal Fernseher an.
Wir waren kurz vorher schon in ein anderes Gebäude gezogen um Platz für 'die Flüchtlinge' zu machen (aus Ungarn und so ...) kam dann aber doch keiner ...
War spannend, v.a. für mich als gebürtigem West-Berliner ...
Gruss Jan

Ich auch, Kempten Gebirgsjäger GA. paar Wochen später dann befohlenes gemeinsames Bier trinken mit den Neudeutschen. Kein Wort verstanden was die Sachsen gelabwrt haben. Dafür durften wir den Rest der Grundi in Zelten pennen, damit die Neuen in die Stube konnten. paar Jahre später gemeinsam mit win paar ExNVA‘lern dann im UNO Einsatz in Cambodia.

marse
14.11.2019, 22:10
Ich war IM Keller

merz
14.11.2019, 23:52
Erstes Semester, kein TV, kein Telefon, ganzen Tag allein am Schreibtisch wie ein Irrer studiert, ich hab erst in der Nacht von Freitag auf Samstag an der Schlagzeile der SZ gerafft was los war - Samstagfrüh die Lage gecheckt und gedacht, jetzt noch nach Berlin ist zu spät, und Montag ist ja wieder Uni - gottwaswarichambitioniert, ärgert mich heute noch Geschichte hautnah nicht gesehen zu haben

m.

hanse987
15.11.2019, 00:13
Ich bin damals eine paar Wochen vorher 10 geworden und für das Alter relativ nachrichtenbegierig. Dass irgendwas im Busch ist hab ich da schon mitbekommen z.B. Prager Botschaft. Da ich aus Ostbayern komme war aber die Grenze zur DDR nicht so ein großes Thema bei uns, als der recht nahe "Eiserne Vorhang" zur Tschechoslowakei.

Am 09 November selbst hab ich es dann nicht mitbekommen, da ich wegen der Schule früh ins Bett musste, aber am nächsten Morgen hat meine Mutter erzählt dass in der Nacht die Mauer gefallen ist. Durch die Art und Weiße der Erzählung wusste ich, dass etwas ganz besonderes passiert war.

Rälph
15.11.2019, 00:26
Damals war ich ein 16 jähriges Pickelgesicht und hatte andere Probleme. Ich habs zwar mitbekommen, aber es hat mich null interessiert. Außer, dass ich auch gerne nen Hunni bekommen hätte!:Cheese:

planar
15.11.2019, 05:42
Ich war einfacher Soldat zu der Zeit an der Berliner Grenze, bei den Pionieren. Unser Trupp durfte nie ohne Sicherungsposten raus an die Grenze. Wir rissen die Runden Beobachtungstürme ab und bauten die Eckigen auf. Später las ich das sie bei mir Angst hatten das ich abhaue, weil ich Westverwandschaft hatte. An dem Abend wurden wir in volle Alarmbereitschaft versetzt und zogen auf. Man war das beschissen, wehe da hätte einer die Nerven verloren. Im Nachhinein betrachtet zeigte sich wie labil das ganze Machtgefüge war. Aber auch das alle Organe kopflos und trotzdem sehr zurückhaltend waren. Was danach kam, war für viele im Osten ein richtiger Schock. Es hat ganze Generationen aus der Bahn geworfen, das wirkt in einigen Regionen bis heute noch. Aber wenn ich mir die Chancen der jungen Leute ansehe bin ich doch froh das es so gekommen ist.

icke
15.11.2019, 06:52
Ich war in Basdorf bei Berlin meine 18 Monate Grundwehrdienst "ableisten".
Das war Bereitschaftspolizei und wir hatten schon Wochenlang vorher kaum Ausgang, ein Einsatz nach dem andern in Berlin.
Am 9 bekam ich dann mal wieder Ausgang und war mit der Freundin zu Hause -Essen, trinken und .... aber kein Radio und kein Fernsehen. Dann hab ich mir gegen 24:00 ein Schwarztaxi na Basdorf besorgt und der Typ hat mir irgendwas von Grenze erzählt, ich hab es nicht so richtig wahr genommen ich war nur müde, glücklich und wollte ins Bett.
In der Kaserne angekommen fing der UVD an " Du kommst jetzt noch wieder........." egal ich will schlafen.
01:00 steht der Typ vor meinem Bett und schüttelt an mir rum "loa wach werden AAAALLLLAAARRRMMMM" nach ner Stunde Schlaf hab ich mir die Uniform wieder angezogen und wurde mit dem LKW und dem Rest der Leute die noch nicht in der Stadt waren zum Brandenburger Tor gefahren.
Dort standen wir rum und sollten aufpassen das keine Panik ausbricht oder Unfälle passieren.

Ständik kamen Westberliner an die uns Zigaretten und Alkohol anboten, aber die kack Offiziere passten auf das wir nix nahmen.
Ende Dezember bekam ich dann meinen Personalausweis wieder und durfte auch mal rüber, gerade noch rechtzeitig für das Begrüßungsgeld.

trina
15.11.2019, 09:21
Sehr gute Idee für einen Thread!!

Mein Vater war Geschichtslehrer. Die Tage vor dem Mauerfall haben wir begonnen, "Die aktuelle Kamera" zu gucken, parallel zu den Westnachrichten. Meine Familie hat nie viel Fernsehen geguckt, in den Tagen saßen wir gefühlt stundenlang davor. Ein paar Tage nach Grenzöffnung sind wir Richtung Grenze gefahren (war nicht weit von uns) und für mich was als das 13jährige ganz deutlich spürbar, dass etwas ganz Großes passiert.

schoppenhauer
15.11.2019, 09:44
In der Nacht selbst habe ich nix mitbekommen, bin vermutlich mal wieder in einer dunklen Kneipe versackt. Nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit, unweit vom Adenauerplatz, standen ein paar Jungs vor der Telefonzelle und meinten "haste mal ne Mark?". Verpisst euch, dachte ich mir. Später wurde dann klar, dass die einfach mal bei Mutti anrufen wollten.

Bin dann, wie geplant, mit einem Kumpel nach West-Deutschland. War uns nicht wirklich klar, das wir mit tausenden anderen am Freitag-Nachmittag vor Marienborn stehen werden. Hat uns eigentlich nur genervt, wir hatten Termine in WoB und die Trabbis stanken !!!!;)

Auf der Rückfahrt nach B war dann mehr los. Wir haben auf Höhe Magdeburg 2 Tramper aus Ost-Berlin mitgenommen. Das wir nicht in Dreilinden reinkommen war klar, so weit ging das an dem WE noch nicht. Also sind wir außen um gefahren und haben die im Prenzlauer Berg abgesetzt. Mein Gott war das alles dunkel damals dort.

Wir wollten dann über Bornholmer Str. zurück nach West-Berlin, die Grenzer haben uns aber nicht gelassen. Der Sprit reichte nicht, um nach Dreilinden zurück zu fahren. Und eine offene Tanke gabs am Sonntag-Abend um 22:00 im Osten auch nicht.

Dann haben wir die nächste Grenze angefahren, wieder nix. Dann zur nächsten, schon ziemlich weit südlich, da hats dann geklappt, die haben uns durchgewunken. Der Wagen blieb dann in Rudow am Straßenrand stehen, und wir mit den Öffis nach Hause.

Aufregend war das !

schoppenhauer
15.11.2019, 10:10
Hab den Text gerade dem besagten Kumpel geschickt. Er hat mich noch darauf hingewiesen, dass wir zur Völkerverständigung gleich erst mal ordentlich gekifft haben. "Die waren gut bedient" meint er.

Wir wollen hier ja schließlich bei der Wahrheit bleiben....

sybenwurz
15.11.2019, 11:51
Ich. Weiss. Es. Nicht.
Keine Ahnung.
Aber 89-90 hab ich gekeult, 7Tage die Woche, also Samstagmittag aus der Firma raus, an die Autobahntanke, wo ich gejobbt hab, Spätschicht von Zwo bis Zehn, heim ins Bett und um Sechse Frühschicht bis Zwo.
Wundert mich nicht, wenn da von aussen nix an mich drang.

Ostern 90 hatte ichs aber schon geschnackelt, s Motorrad geschnappt und bin nach Eisenach gefahrn.
Hatte geschneit, war sackkalt, der Gestank auf den Strassen der mit Briketts geheizten Öfen ist mir bis heute präsent, meine Landkarte war grottenschlecht 'da drüben' und die örtliche Beschilderung, wie ich im Nachhinein erfahren hatte, darauf ausgerichtet, den auf Zonengebiet vorgedrungenen Klassenfeind zu verwirren.
Das ist gelungen und ich bin schleunigst retour in' Westen, weil die Schlangen vor den Ost-Tanken so unfassbar lang waren.


https://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/wp-content/uploads2/2010/11/zonen-gaby-erste-banane-titanic.jpeg

NBer
15.11.2019, 12:06
zusatzfrage an die ossis...wer weiss noch, was er mit seinem begrüßungsgeld gekauft hat? bei mir waren es keine bananen, sondern ne roxette platte und coladosen. und ich war überrascht, dass man bei den dosen den deckel nicht wie in den coolen filmen abziehen, sondern nur eindrücken konnte :-)
später dann für 42 mark ne karte für mein erstes westkonzert.....depeche mode im oktober 1990 in berlin.
und woran ich mich noch erinnere....die längsten schlangen gab es in berlin vor den beate uhse shops.......

Vicky
15.11.2019, 12:11
zusatzfrage an die ossis...wer weiss noch, was er mit seinem begrüßungsgeld gekauft hat? bei mir waren es keine bananen, sondern ne roxette platte und coladosen. später dann für 42 mark ne karte für mein erstes westkonzert.....depeche mode im oktober 1990 in berlin.
und woran ich mich noch erinnere....die längsten schlangen gab es in berlin vor den beate uhse shops.......

Bei mir war es ne Platte von Bros ... ich glaube den Rest haben meine Eltern verprasst... es gab halt noch ein paar Weihnachtsgeschenke.

Ach ne Arena Schwimmbrille habe ich mir noch gekauft. Das war halt damals was gaaaaaaaanz besonderes... :Cheese:

captnelson
15.11.2019, 13:10
Da musste ich mich aber ne halbe Stunde sammeln ...

1 Ausbildungsjahr
17 Jahre alt
Donnerstags war Berufschule
Abends Fussballtraining
Freundin in Frankreich ☺️
Führerschein in mache
Lieblingsschuh Nike (blau/gelb Noppensohle)
Rad: Pegasus

Haha, das waren Zeiten

Feanor
15.11.2019, 13:52
Den Donnerstag 9.11. habe ich das im Fernsehen verfolgt und konnte irgendwie nicht glauben, dass das jetzt so einfach losgeht. Bis ich dann am nächsten Tag die Bilder der Nacht gesehen habe. Abends am Freitag war ich dann auf einer Geburtstagsfeier. Ich war 17, aber ein paar waren schon 18. Bis zur Grenze (Grenzübergang Helmstedt) war es nicht weit und so haben wir beschlossen einfach dorthin zu fahren. Es war ein klasse Erlebnis, viele glückliche Leute und viele Leute die diese Willkommen geheißen haben.
In den darauffolgenden Wochen hat man dann immer mehr Trabis in der Gegend gesehen und Leute, die die Geschäfte gestürmt haben. Leuchtende Kinderaugen bei all dem Angebot und vor Freude weinende Kinderaugen, wenn man ihnen dann einfach spontan eine Schokolade oder irgendetwas anderes geschenkt hat. Wir haben eine paar Familien kennengelernt, zu denen wir zum Teil heute noch Kontakt haben. Später sind wir mit ein paar Jungs einfach in die damalige Partnerstadt gefahren, ohne Plan. Super freundlche Menschen kennengelernt, wir konnten mit 4 Mann privat bei einer Familie unterkommen, haben mit dem Direktor eines Gymnasiums noch einen Schüleraustausch angestoßen etc.
(natürlich auch schwarz D-Mark getauscht).
Ein tolle, interessante Zeit. Leider wird das bei all den Problemen oftmals vergessen.

Hippoman
15.11.2019, 13:55
Ich war einer von 67800 Zuschauern in Stuttgarter Neckarstadion.:cool:

Am 9. November 1989 besiegte der VfB den FC Bayern im Neckarstadion mit 3:0.
Das Spiel wurde auch live iin der ARD übertragen.

Es war bis heute der einzige VfB- Sieg im DFB-Pokal gegen die Bayern. :dresche

Nach meiner Erinnerung gab`s damals am nächsten Tag in den Stuttgarter Nachrichten die Schlagzeile "Der VfB schlägt den FC Bayern und keinen interessiert´s "...
Außer natürlich uns VfB-Fans...

Hippoman :cool:

Cube77
15.11.2019, 14:18
Ich war gerade 12 Jahre und ein paar Monate alt. Mit großer Wahrscheinlichkeit habe ich darüber sinniert, wie ich meiner Mutter beibringen konnte, dass ich mal wieder eine ziemlich schlechte Note in einer Klassenarbeit bekommen habe. Das war ja damals für mich eine Art Daueraufgabe. :dresche

Sehr wohl weiß ich aber noch, dass sich meine Urgroßmutter sehr über die damaligen Vorgänge gefreut hat. Schließlich hat sie sehr lange in der Thomas-Stadt Mühlhausen gelebt und hatte dort mit ihrer Familie eine Gaststätte geführt. Meine Großeltern haben mir immer erzählt, dass während des Krieges und danach sehr viele Russen in der Gaststätte waren und mein Großvater verheimlichen musste, dass er vorher als Soldat auf deutscher Seite gedient hatte.
Kurze Zeit nach dem Mauerfall sind wir dann auf Spurensuche in Mühlhausen gewesen, daran erinnere ich mich noch. Wir waren dann bei Verwandten und dort habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Muckefuck, Othelo-Kekse und Vita-Cola probieren dürfen.

An mehr erinnere ich mich nicht mehr. Meine Großmutter lebt zwar noch, aber leider erinnert sie sich ja nicht mal mehr an mich. Da hat es wenig Zweck sie mal nach der damaligen Zeit zu fragen ...

Saluti
Alex

Siebenschwein
15.11.2019, 15:37
Also ich war zarte 17 Jahre und gerade im letzten Jahr für´s Abi in Leipzig. Die Montagsdemos waren ja schon voll am Laufen und seit der Ausreisewelle im Sommer war eigentlich jedem klar, dass da was in der Luft lag. Dass das alles so sang-und klanglos in sisch zusammenbrechen würde, war dann doch eine Überraschung.

Am 9.11. selbst haben wir das alles erstmal mit Erstaunen am Fernseher verfolgt. Dass die Idioten in der SED-Führung so völlig planlos waren für den Fall, dass die Konterrevolution massiv von innen heraus kommt, war mehr als erstaunlich. Aber passte ins Bild dieser drittklassigen Politikerdarsteller. Ohne klare Vorgaben von weiter oben oder aus Moskau waren die aufgeschmissen.

Wenn ich mich recht erinnere, war der 9.11. ein Donnerstag. Der Freitag in der Schule kannte natürlich nur ein Thema. Am Samstag hatten wir damals eigentlich noch Schule. Ein Klassenkamerad kam dann mit der Idee, dass wir mit einem gemeinsamen Freund, der schon 18 war und einen eigenen Trabbi hatte (unglaublich - aber sein Papa hatte ein gutgehendes Geschäft) nach Westberlin fahren sollten. Meine Mutter war dagegen - und eine Entschuldigung würde sie mir auch nicht schreiben. War aber egal - die Mauer geht nur einmal auf und wer weiss, ob die Russen sie nicht wieder zu machen - also sind wir Samstag früh zeitig los, gut über die Grenze nach Westberlin gekommen - null Problem, alles völlig unkomplizier. Und plötzlich waren wir im Westen.
Den Trabbi haben wir dann irgendwo im Wohngebiet geparkt - keiner hatte ja einen Stadtplan. Als erstes kam eine ältere Frau auf uns zu und sagte, wie sehr sie sich freue - und drückte uns 20 Mark in die Hand, damit wir uns eine Currywurst kaufen könnten. Unglaublich - wenn ich dran denke, wie wir heute Fremde und Flüchtlinge behandeln, bin ich peinlich berührt.
Natürlich haben wir dann unsere 100 Mark Begrüssungsgeld geholt, Kudamm abgelaufen, ein wenig eingekauft (mein erster billiger Walkman) und dann wieder heim.
Meine Mutter hat mir dann ünbrigens doch noch eine Entschuldigung geschrieben. Sie wollte ja keine unentschuldigten Fehltage auf meinem Zeugnis :) Irgendwas von "wichtigen Familienangelegenheiten" stand wohl drauf.

War übrigens ne geile Zeit damals. Unglaublich intensiv, die Welt stand plötzlich offen.
Ich finde es schade, wieviele Leute im Osten vergessen zu scheinen haben, wie ihr Leben wirklich aussah vor der Wende. Auch wenn nicht alle Träume in Erfüllung gehen konnten, ich will den Scheissstaat von damals nicht zurück.

Gruss

k

Oscar0508
15.11.2019, 16:27
Damals war ich noch Schöler.... erst hab ich mir das alles an der Glotze angeguckt und große Augen gemacht. Dann rief mein bester Freund an (motorisiert) und wir sind dann mit einer jungen Dame, in die ich ziemlich verknallt war, zum Schlittschuhlaufen nach Münster gefahren. Unser Fahrer hatte vergessen, Licht anzumachen und die eigentlich scharfen Dorfsherrifs machten nur Lichthupe, um uns darauf aufmerksam zu machen.

Wir hatten eine wirklich gute Zeit, aber ich stellte mich echt dumm an ;-)

flachy
15.11.2019, 17:02
Der 9. Novemer 1989 hat ganz sicher mein Leben verändert.
...
Was habt ihr gemacht und wie habt ihr das Ganze erlebt?
LG!

Ahnungslos frierend in einem Erdloch, nahe dem ewig ruhenden Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser, haben wir den Funkverkehr der US-Army abgehört und konnten uns keinen Reim aus dem Kauderwelsch machen...:confused:

Aber von vorn:
Mit 18 Jahren fiel meine James-Hetfield-Gedächtnismecke in Weissenfels südlich von Leipzig am 1. September, dem Weltfriedenstag, dem Schärapparat eines NVA-Barbiers zum Opfer.
Und dann war's ziemlich lange duster, knappe 2 Monate Grundwehrdienst in einer auf Demütigung, Erniedrigung und Verdummung aufgebauten Armee.
Der einzige Lichtblick, aus diesem Kreislauf auszubrechen, war die Stunde "Freizeit", die jedem Wehrdienstleistenden am Tag zustanden.
Und während meine anderen 11 Stubengenossen Liebesbriefe schrieben, soffen oder pennten, habe ich im September 1989 mal eben HIIT, Tough-Mudder und Spartan-Races in einem Aufwasch erfunden, indem ich wie ein Blöder die 400 Meter lange Sturmbahn überwand und im Vollsprint das flache Stück zurück rannte. Täglich exakt eine Stunde, 8 Wochen lang.

Denn die einzige Chance, den Wachgängen, Schlagstocktraining und den nachfolgenden nächtlichen Fahrten im Mannschafts-LKW an das Völkerschlachtdenkmal Leipzig zu entgehen, war die Nominierung in das Kasernen-Team für den sogenannten "Militärischen Mehrkampf",
Dieser Mix aus Crosslauf, Granatenwerfen und Rumballern war sehr beliebt unter den Kommandeuren der jeweiligen Standorte und Waffengattungen, so dass es regelmäßig Rennen der Besten gegeneinander gab.
Parallel habe ich mich noch für die Fernaufklärer beworben und durfte Anfang November in den Kyffhäuser "umziehen".
Vier statt 12 Mannbude, keine 24 oder gar 48 Stunden-Wachdienste mehr, keine Maloche-Kommandos in den Braunkohletagebauen, aber täglich das Ohr am "Feind" auf der anderen Seite des Höhenrückens...
Dort bestand meine Woche aus 2 bis 3 Tagen Manöver und der Rest war Dauertraining für diesen Ballergranatenquatsch.

Und so waren wir am "Wendetag" wieder einmal unterwegs, 3 Tage Überlebenstraining mit nix ausser paar Knarren, Gasmaskenkram, Funk- und Nachtsichtgeräten. Funkverkehr der US Armee abhören - zu der Zeit sprach ich fliessend Deutsch, Tschechisch und Russisch, aber keiner von uns 16 Hanswürsten konnte auch nur einen zusammenhängenden Satz Englisch radebrechen.
Pennen fand in selbstgebuddelten Gräben statt, jeder für sich allein, denn wenn der Ami im Ernstfall unbemerkt käme, sollten von dem nicht alle auf einmal abgemurxt werden.
Fernsehen und damit die Pflichtsendung "Aktuelle Kamera" um 19:30 gab's für uns draussen an den Tagen im November natürlich nicht.
Zwei Tage später zurück in der Kaserne, gings wieder an's Trainieren für das nächste Militär-Rennen.
Den Appell der Kaserne mit der Durchsage, dass der US Aggressor zwar auch weiterhin unser Feind sei, man aber nicht genau wüßte, ob dies noch lange von Bestand bleiben könne, hatten wir dadurch - wie immer - geschwänzt.

Naja, das erste Mal "draussen" bei meiner Familie mit vielen Infos zu den Geschehnissen bisher war ich dann nach fast 4 Monaten die drei Tage über Weihnachten.
Danach gings gleich wieder bis Neujahr zum Manöver in den Busch.

Und mein erster Besuch im "Westen" fand Ostern 1990 statt.
Zu Fünft mit dem Trabbi meines besten Freundes Baffy, der mich hupend direkt vor der Kaserne einsammelte, sind wir mit Zeha-Schuhen und NVA-Schlafsäcken zum Osterlauf nach Paderborn gedaddelt.
Dort habe ich mein Begrüßungsgeld sofort zu 100% im lokalen Runners Point in ein Paar New Balance umgesetzt.
Und als die Leute dort meine Geschichte der letzten 6 Monate mitbekamen, gab's noch einen Sack voller Laufklamotten, ein Extrapaar Adidas Castella Laufschuhe und eine Gastfamilie für uns alle obendrauf!
Einzige Bedingung war:
Der Papa dort wollte das komplette Wochenende unseren Trabbi - Baffy's Erbstück!!! - fahren.
Also stellte er uns seinen Audi 200 hin und war bis Ostermontag unterwegs.
Was für ein unglaublicher Tausch für uns Simson und Trabant-Nieten.
Ich war im Schlaraffenland!
Den Osterlauf gibt es heute immer noch.
Ich war auf den damals noch üblichen 25 Kilometern mit meinen nagelneuen New Balance nach knapp 1:27 Stunden im Ziel, so glatte Straßen hatte ich bisher in meinen 19 Lebensjahren noch nie zuvor gesehen!

Und weiter geht's!

schoppenhauer
15.11.2019, 19:41
Ach ja flachy, du musstest halt immer ein bisschen mehr geben, um das gleiche zu erreichen. Eigentlich nur zu vergleichen mit den Frauen, die Karriere in einem old-boys-Network machen wollen... Wenn ich auch so ein trauriges Schicksal gehabt hätte, wäre ich bestimmt schneller geworden.

Danke - wie so oft informativ und klasse geschrieben!

shoki
16.11.2019, 16:48
Bin mir nicht sicher ob ich das alles noch zusammen kriege....
Am 9. bekam ich mittags die Info das 3 meiner Kumpels sich kurzerhand am Vorabend auf in die Tschechoslowakei gemacht haben und dort über die grüne Grenze sind.
Um den Schock ein wenig zu verdauen haben wir dann in meinem 8 qm großem Kinderzimmer zu dritt auf die Wanderer mit Nordhäuser Doppelkorn angestoßen, was mit in wenigen Tagen 18 ja auch dem städtischen Jugendschutz entsprach, es war ja schließlich DAS Getränk der Region.
Meine Mutter kam dann rein und meinte daß wir mal die Nachrichten verfolgen sollten, so richtig konnte/wollte dem Schabowsky keiner glauben, tat er in dem Moment ja selbst nicht.
Nach der freudigen Botschaft mußten wir natürlich ein wenig schmunzeln über die Grüne Grenze Aktion.

Wann ich das erste mal in den Westen bin weiß ich nicht mehr, da wir recht na dran waren und sich der Stau bis zu bildete fand ich es unsinnig mich da einzureihen , zumal mein Vater zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus lag und ich keine Fleppe hatte (So nannte man hier früher den Führerschein).

Bin dann irgendwann nach n paar Wochen mal mit den Eltern meines Kumpels rüber.
Für was die erste Kohle (Begrüßungsgeld) draufging waren glaub ich Knöchelturnschuhe.

Aber da das ja in absehbarer Zeit nicht mehr wurde hab ich es beiseite gelegt um Geld für Konzerte zu haben.
Man konnte bis Mitte 90 (zum Glück) von hier aus Bahntickets in den Westen kaufen und mit den Alugeld bezahlen, daß heißt Hin und Rückweg waren gesichert und somit brauchten wir nur die harte Westmark für den Eintritt auszugeben.

Da wir im Mai Sonntags nach Bremen zu DRI und COC sind, zurück auf dem Bahnhof in Hannover schlafen mußten, den folgenden Samstag mit m Trabbi wieder nach Hannover zu Metallica und Dio sind waren danach die Hosentaschen zu tief bzw die Arme zu kurz oder die schlimme Kombi aus beidem.....sprich wir mußten warten bis wir richtiges Geld hatten um daß dann getreu dem Motto der Marktwirtschaft auf den neuen Markt zu bringen.
Mein Vorarbeiter hatte irgendwie Verständnis daß ich bei solch wichtigen Konzerten auch mal den Arzt aufsuchen mußte, Lehrjahre sind keine Herrenjahre.

Muß sagen da ich mit ziemlich glatt 18 Jahren zu dem Zeitpunkt genau richtig war, bin um die Asche (DDR Armee) rumgekommen und hatte Mitte 90 ausgelernt, n Führerschein (Dank GST) und den alten Moskvich meiner Eltern....hätte auch „denn sie wissen nicht was sie tun“ sein können.

Hippoman
18.11.2019, 07:49
Ich war einer von 67800 Zuschauern in Stuttgarter Neckarstadion.:cool:

Am 9. November 1989 besiegte der VfB den FC Bayern im Neckarstadion mit 3:0.
Das Spiel wurde auch live iin der ARD übertragen.

Es war bis heute der einzige VfB- Sieg im DFB-Pokal gegen die Bayern. :dresche

Nach meiner Erinnerung gab`s damals am nächsten Tag in den Stuttgarter Nachrichten die Schlagzeile "Der VfB schlägt den FC Bayern und keinen interessiert´s "...
Außer natürlich uns VfB-Fans...

Hippoman :cool:

Hi,

letzten Freitag habe ich aufgrund dieses Threads bzw. meines Postings meinen Stuttgarter Freund angerufen, der mit mir damals in ausverkauften Neckarstadion war.

Es war ein sehr langes Telefonat, nicht nur wegen der Geschehnisse am 09.11.1989...

Gestern telefonierten wir nochmals und er erzählte mir, dass unser damaliges Pokalspiel mit den Ereignissen am 09.11.1989 in der damaligen DDR Gesprächsthema bei einer Geburtstagsfeier am letzten Samstag war...
Da es damals noch keine Handys oder Smartphones gab,wurden wir erst über dieses Ereignis in der Halbzeitpause informiert,als auf der der Anzeigetafel des Stadions die Meldung erschien, was sich gerade in Ostdeutschland abspielte...

Speziell die jungen Leute waren sprachlos...

Viele Grüße.

Hippoman :cool:

Vicky
18.11.2019, 14:45
Vielen Dank für Eure Geschichten! Das ist ein wirklich toller Thread!

Ich erinnere mich daran, dass ich mir die West-Berliner Hauptstraße (deren Namen ich damals gar nicht kannte) wie eine Art Brücke vorgestellt hatte... mit vielen bunten Lichtern. Keine Ahnung warum das so ist.

Mir waren Shops damals total egal. Ich wollte einfach nur mal sehen, wie das so ist. Es gab auch keinen besonderen Grund, warum ich mal nach LA wollte. Ich habe mal etwas von Hollywood gehört, konnte mir darunter aber nichts vorstellen und wollte es sehen. Einfach so. Ich war in den 90er Jahren sehr oft in London und UK. Ich fand es cool zu reisen.

Naja... es war wirklich eine tolle Zeit mit sehr intensiven Glücksgefühlen, neuen Perspektiven...