Zitat:
Zitat von Zarathustra
Ist ganz einfach: Aus dem Sein folgt kein Sollen.
Eine minimale Grundregel einer jeden rationalen Diskussion über solche Fragen, wie die der Religion. (Lustigerweise wird traditionell die Einheit von Sein und Sollen von religiöser Seite proklamiert, während die Wissenschaft großen Wert auf die strikte Trennung der beiden legt.)
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Mal ein Beispiel:
Martin Luther machte sich Gedanken über Kinder, die behindert auf die Welt gekommen waren. Er war überzeugt davon, dass hier der Teufel am Werk gewesen sei: Entweder habe die Mutter mit dem Satan Geschlechtsverkehr gehabt, wobei das behinderte Kind gezeugt worden sei. Oder das Kind sei nach der Geburt heimlich von Teufel ausgetauscht und der Mutter unterschoben worden.
Was diese Fantastereien des großen Reformators für die Mütter und ihre behinderten Kinder bedeutete, die beide jeweils der Solidarität ihrer Mitmenschen bedurft hätten, kann man sich ausmalen. Luther selbst empfahl, die Kinder umzubringen (zu ersäufen), da der Teufel nunmal bekämpft gehört.
Wer heute nach den Empfehlungen Luthers tatsächlich vorgehen würde, käme lange ins Gefängnis oder eine geschlossene psychiatrische Klinik. Wie kommt es zu diesem Sinneswandel quer durch unsere Gesellschaft? Aufgrund von zwei Fakten: Für niemanden hat ein Teufel, der mit Menschenfrauen Geschlechtsverkehr hat, den Rang einer Tatsache. Zweitens liefert die moderne Medizin und die Genetik weitaus überzeugendere Ursachen für Behinderungen bei Neugeborenen. Beides bezieht sich auf das "Sein", nämlich die faktische Ursache für Behinderungen.
Das "Sollen", also der Umgang mit behindert zur Welt gekommenen Menschen, ergibt sich daraus von selbst. Denn Luthers Anliegen war in erster Linie nicht das Ersäufen von Babys, sonder das Bekämpfen des Teufels. Ersteres war nur Mittel für Letzteres. Und wenn es keinen Teufel gibt, oder er zumindest nichts mit Behinderungen zu tun hat, dann brauchen wir ihn auch nicht durch das Töten von behinderten Babys und Kindern bekämpfen.
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Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass Luther von Göttern, Teufeln und Engeln genauso viel wusste wie wir: nämlich gar nichts. Nullkommanull. Auch seine Überzeugungen über Erbkrankheiten waren reine Hirngespinste und blühender Unsinn, gleichwohl mit grausamen Folgen für die Betroffenen. Dabei war an hochgebildeten Logikern in der damaligen Zeit kein Mangel, eher im Gegenteil. Was Luther fehlte war eine Methode, mit der er seine Irrtümer hätte erkennen können. Freilich gilt das nicht nur für ihn, sondern für Millionen Menschen vor ihm und nach ihm. Wir sind heute besser dran, Gott sei Dank!