Hinter Odense wird der Radverkehr dichter, die Leute, die für Odense-Kopenhagen gemeldet haben, stossen zu uns. Wir nehmen nun Kurs auf meinen persönlichen Höhepunkt der Tour, den Grund für meine Anmeldung für die Tour und all das Training: die Große Beltbrücke. Ich habe sie hier ja schon mehrfach beschrieben. Zunächst (in West-Ost-Richtung) gibt eine ca. 12 km lange gleichmäßige Konstruktion, die zu einer kleiner Insel führt, bis dahin gibt es neben der Straße noch zwei Bahngleise. Auf der Insel geht die Bahntrasse in einen Tunnel und die Straße führt über die berühmte Hängebrücke. Für das Radrennen hat man eine Autobahnseite gesperrt, eine Spur für uns Radsportler, eine für Offizielle, Polizei und Krankenwagen. Die Autos müssen für die paar Stunden auf der anderen Seite eng zusammenrücken. Die Überquerung der Brücke, ca. 20 km, alles zusammen, dauert über eine Stunde. Überholen schwierig da eng, extrem windig und vor allem, wozu die Eile? Dies ist der Grund, für den ich hierherkam und es ist so toll wie erwartet. Links und rechts das Meer, kilometerlang, bis dann die richtige Brücke kommt. Hier kommt auch das erste Mal ein Wegweiser nach Kopenhagen in Sicht, der allerdings für uns nicht gilt, denn wir fahren nicht die E 28!
Besonders toll ist es ganz oben zwischen den Phylonen, ca. 70 m über dem Meer. Ich verdrücke ein paar Freudentränen. Was für ein Moment.
Bald kommt auch wieder ein Depot, günstig, denn die Eindrücke müssen diskutiert und bejubelt werden. Am Wegweiser für den weiteren Streckenverlauf
komme ich ein bisschen ins Grübeln: es ist jetzt 20 h, bis ins Ziel sind es noch 110 km sowie zwei weitere Depots. Der Tacho zeigt 275 km. Das wird eine lange Nacht!
Gratulation zum Finish trotz gegenwindiger Verhältnisse. Als ich in Roskilde gearbeitet und Kopenhagen gewohnt hatte, fand ich Ostwind auf Seeland schon nervig, und das waren nur 10% der Strecke.
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triathlontourist mit hang zum klein schreiben
Kaum eine Stunde unterwegs beichtet mir Jens, dass seine helle, batteriebetriebene Lampe gleich den Sittich machen wird. Wow. Darauf habe ich gerade gewartet. Und tatsächlich: aus. Zunächst glaubt Jens, dass er schon bald an der nächsten Tanke eine neue Batterie kaufen kann, aber Pustekuchen: es gibt auf der Radstrecke nur Kreditkartentankstellen ohne Menschen. Das war´s mit lutschen. Trotz Geschwächel muss ich nun eine ganze Weile in den Wind, alles andere wäre total unverantwortlich. Und auch sonst breche ich so langsam psychisch zusammen. "Scheissgel, scheissriegel, scheissiso! Der ganze Gaumen ist schon wund! Jetzt ein Weisswein und noch ein paar spezielle Wünsche, die Euch zwar sicher interessieren, die ich auch mal erzählen aber nicht öffentlich aufschreiben werde!" Sorgt für Missmut. Aber dann erreichen wir ein Depot und oh Wunder: hier gibt es Lebensmittel.
Instantsuppe mit etwas Gemüse, dazu rote dänische Würstchen. Bei Licht betrachtet eigentlich nicht mein Geschmack, aber hier und heute besser als jede Sterneküche. Neben einem Kaffee trinke ich nur Wasser, das hilft dem wunden Gaumen. Für einen Espresso aus einer Porzellantasse würde ich jetzt ganz viel Geld geben. Ich esse trotzdem nur wenig, vor uns liegen noch 80 km. Wir kommen auch in eine größere Gruppe, so komme ich auch mal wieder aus dem Wind und was auch geht ist Jens neben mir vorne, denn meine Lampe, Hallogen an Nabendynamo, ist hell genug für uns zwei. Wieder ein Depot, 23:30 h, der Sonntag beginnt gleich.
Ich bin jetzt so kaputt, dass ich aufgeben könnte, dunkel, kühl, antriebsschwach, keine Lust mehr. Ich setze mich irgendwo hin, Jens bringt mir irgendwas. Ich ärgere mich über meine Ausrüstung: um Gewicht zu sparen habe ich sogar die Beinlinge im Rucksack gelassen, die wären jetzt Gold wert. Aber dann ein Geistesblitz: ich kann gar nicht aufgeben, ehe es ein Auto usw. gäbe wäre ich längst im Ziel. Außerdem kommen wir so langsam nach Suburbia, soll heißen Strassenlaternen und dann auch bald nur noch Radwege. Noch einmal fülle ich auf und sage Jens, dass es weitergehen kann. Kaum, dass wir los sind ändert sich meine komplette Wahrnehmung, denn das Rennen ist zu Ende, ab jetzt gibt es nur noch eine Stunde Tour d` honneur auf den großartigen Radwegen Kopenhagens. Astrein: jede Kreuzung von Helfern abgesichert, meistens werden wir, auch bei rot, einfach durchgewunken. Und trotzdem muss sich doch noch ein Teilnehmer, praktisch unmittelbar neben mir, ohne Not um Kopf und Kragen fahren! Bei einem sinnlosen Überholmanöver kommt er ins Kiesbett und schrotet alles. Ich kann nicht helfen, bis ich realisiere, was los ist, bin ich 50 m weiter und weitere 50 Teilnehmer haben ihn passiert. Helfer sind aber in unmittelbarer Nähe. Im Krankenhaus kann er dann überlegen, wo seine überschüssige Kraft im Laufe dieses Tages besser eingesetzt gewesen wäre. Lerne was von der Tour de France: am letzten Tag trinken wir ein Glas Champagner im Peloton, der Krieg der letzten drei Wochen ist vorbei.
In diesem Moment beschließe ich, so eine Aktion, Ausdauersport dieser Dimension, nie wieder zu starten, alles wund, alles kaputt, 01:30 h, eine Aussage, von der ich schon heute nichts mehr wissen will. Was schert mich mein Geschwätz von gestern, wie Adenauer so treffend sagte. Kurz darauf erreichen wir das Ziel, neben einer Medaille gibt es auch eine Pilzsuppe, gäbest Du sie mir heute, ich äße sie nicht, Sonntag morgen war sie göttlich.
Spaß auch beim Check in im Hotel, nachts um 2 h: wo sonst der Portier die Eier schaukelt hat er heute eine richtige Schlange - und jeder hat auch noch ein Rad!
Am nächsten Morgen lerne ich etwas über die Lebensdauer von Assos-Radhosen: bei schlechter Pflege immer noch 10 Jahre. Meine ist jetzt hin, keine Minute mit ihr möchte ich missen. Noch 10 Jahre später ärgere ich mich, dass ich jahrelang soviel Geld in meinen Sport gesteckt habe, ohne dass ich überhaupt eine einzige wirklich gute Hose hatte, die wunderbare Kombination aus Geiz und keine Ahnung. Es war eine schöne Zeit mit Dir, danke für alles, jetzt ist sie um. Und genauso blöd war auch die Sache mit den Radflaschen: ich dachte, es gäbe in den Depots immer "Neu gegen alt", wie bei Ironman usw. und habe daher nur die hässlichsten und ältesten Buddln mitgenommen, Pustekuchen: sie wurden immer aufgefüllt und ich hatte den Müll die ganze Zeit an der Backe. Dabei brauche ich gar keine neuen Flaschen, meine Frau beschwert sich sowieso immer, dass hier Unmengen von allem Möglichen rumliegt.